Bekannt dürfte sein, das Richard Stallman (Gründer des GNU-Projektes und der FSF) nichts dagegen hat, mit freier Software Geld zu verdienen. [1] Ganz im Gegenteil empfiehlt er mit dem Verkauf von Binarybuilds, Support und Handbüchern Geld zu machen, egal zu welch hohen Preisen.
Actually, we encourage people who redistribute free software to charge as much as they wish or can. … When we speak of “free software”, we’re talking about freedom, not price.
Wichtig ist nur, dass die GPL-Bedingungen dabei eingehalten werden.
Nun, seien wir ehrlich… das ist heute gar nicht so einfach. Es ist zwar nicht unmöglich, aber die freie Verfügbarkeit macht es nicht einfacher. Denn jeder kann die freie Software und evtl. freie Dokumentation legal kopieren und das Internet ist heute auch da. Das stellte schon damals viele Firmen vor die Frage, ob sie mit dem Offenlegen ihrer geschlossenen Software noch Geld verdienen könnten?
Ein wenig Historie
Die Qt-Bibliothek wurde in den 1990er Jahren von Trolltech noch als kostenpflichtige und geschlossene Software angeboten. Erlaubte aber freier Software dessen kostenlose Nutzung. So ist der freie KDE-Desktop mit proprietären Qt entstanden. Richard Stallman versuchte Trolltech zu überreden, dass sie Qt unter GPL freigeben sollen. Trolltech hatte aber bedenken, dass sie dann kein Geld mehr verdienen und sie die Kontrolle verlieren würden. Nach dem Stallman ihnen aber das Copyleft erklärte, kam Trolltech auf eine Idee: Qt unter GPL und einer Selling Exception freigeben!
Wie funktioniert die Ausnahme zum GPL-Verkauf?
Beim GPL-Verkauf kommt eine Ausnahmeregelung mit Zusatzbedingung hinzu: Das Linken und Einbetten in das geschlossene Hardware- oder Software-Produkt wird dem Distributor erlaubt, ohne von der GPL infiziert zu werden, wenn er dafür bezahlt! Der Verkauf wird mit dem Paragraph 7 der GPL ermöglicht, weil dieser Paragraph es erlaubt Ausnahmen zu verfassen. Ähnlich der Link-Ausnahme für C++-Templates. Vorgefertigte Ausnahmetexte gibt es von GNU und FSF nicht.
Was keinen Sinn macht, ist eine freizügige Lizenz (BSD, MIT, APL usw.) mit einer Selling Exception zu versehen. Diese Lizenzen sind bereits freundlich zu proprietärer Software und lassen sich ohne Bedenken in diese Produkte linken, einbetten und vertreiben. Das Geschäftskonzept funktioniert nur bei viralen Lizenzen, wie die GPL. Oder es müsste eine andere Hürde in der FLOSS-Lizenz geben, wie die Netzwerk-Klausel in der OSL 3.0.
Warum toleriert Richard Stallman die Selling Exception?
Die Selling Exception wird von Richard Stallman toleriert, weil er auch die freizügigen Lizenzen toleriert. [2] Stallman hält proprietäre Software für inakzeptabel und die Selling Exception fördert diese indirekt. Freizügige Lizenzen tun aber das gleiche, und somit müsste er diese ebenfalls ablehnen? Tut er aber nicht, denn er hält freizügige Lizenzen für strategisch notwendig, um freie Protokolle und Formate in proprietärer Software zu fördert. Somit würde er sich widersprechen und toleriert deshalb die Selling Exception.
Stallman erkennt auch den Vorteil, dass nur so proprietäre Software überhaupt frei werden kann. Das ist besser, als wenn sie nur verschlossen bleibt. Und Qt ist ja das beste Beispiel dafür.
Richard Stallman und das GNU-Projekt schließen aber für ihre eigene Software die Selling Exception aus, um alle Nutzer gleich zu behandeln.
Dual-Licensing
Noch etwas zur Dual-Lizenz bei FLOSS-Projekten. Wenn ein Projekt z.B. nur unter der GPL 3.0 steht, ist es eine Single-Lizenz. Wird die Selling Exception angeboten, ist es laut Richard Stallman keine Dual-Lizenz. Es ist nur ein Anhang. Eine Dual-Lizenz wäre z. B. GPL und LGPL, oder AGPL und OSL.
Es gibt GPL-Projekte, die zusätzlich eine proprietäre Lizenz zur Auswahl haben, was Stallman nicht anspricht. Diese Produkte bringen entweder anderen Code, zusätzliche Funktionen oder proprietäre Komponenten mit, die nicht frei sind. Das bekannteste Beispiel ist Oracle MySQL, welches unter GPL 2.0 und einer Commercial-Lizenz verfügbar ist. [3] Da der Urheber des Projektes die Lizenzen selbst bestimmen kann, ist das auch kein Problem.
Fazit
Wie wir erfahren haben, ist es möglich, bei Copyleft-Lizenzen mit einer Verkaufsausnahme oder separater proprietärer Lizenz zu arbeiten. Und das soll einen ja nicht davon abhalten, mit der reinen Freie-Software-Lehre von Richard Stallman parallel noch Binaries, Support, Handbücher usw. zu verkaufen.
Hinweis
Ich bin kein Jurist/Rechtsanwalt und dieser Text ist keine Rechtsberatung zu Software-Lizenzen!
[1] https://www.gnu.org/philosophy/selling.de.html
[2] https://www.gnu.org/philosophy/selling-exceptions.de.html
[3] https://www.mysql.com/about/legal/licensing/oem/